Was sind Stakeholder? Definition, Ansätze und Management

Die Erwartungen an ein neues Produkt sind vielfältig: Die Geschäftsführung verspricht sich wachsenden Umsatz, Nutzer:innen verlangen eine intuitive Bedienung, während das Tech-Team den Fokus auf eine nachhaltige Architektur legt. Hinzu kommen weitere Anforderungen von Lieferanten, Investoren und anderen Teams im Unternehmen. Die Erwartungen all dieser Stakeholder zu managen, ist ein wesentlicher Baustein für den Produkterfolg. Was genau ein Stakeholder ist, was Stakeholder-Management beinhaltet und verschiedene Ansätze im Überblick.

Stakeholder Management
Quelle: Digitale Leute Interview mit Nadia Vinciguerra (Senior Scrum Master bei IBM iX)

Definition: Was sind Stakeholder?

Stakeholder sind Personen oder Gruppen, die ein berechtigtes Interesse an der Entwicklung und am Erfolg eines Produkts haben. Typische Anforderungen der Geschäftsführung an ein neues Produkt ist eine Umsatz- oder Gewinnsteigerung. Nutzer:innen hingegen wünschen sich eine gute User Experience zu einem möglichst niedrigen Preis. 

Dabei lassen sich interne und externe Stakeholder unterscheiden. Zu den internen Stakeholdern zählen Interessengruppen innerhalb des Unternehmens wie die Geschäftsführung und verschiedene Abteilungen. Externe Stakeholder sind neben Kund:innen und Nutzer:innen eines Produktes auch Investoren und Lieferanten. 

Auch bestimmte Behörden und Regularien, für die das Produkt von berechtigtem Interesse ist, zählen zu den Stakeholdern. Das kann bei einer Banking-App beispielsweise die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht sein oder die Datenschutz-Grundverordnung bei allen Unternehmen, die Nutzerdaten speichern. Solche Instanzen werden auch als latente Stakeholder bezeichnet. Sie wirken zwar nicht aktiv bei der Produktentwicklung mit, haben durch ihre regulierende Funktion jedoch einen großen Einfluss. 

Stakeholder Management

Jedes neue Produkt trifft auf vielseitige Erwartungen. Diese können dabei durchaus gegenläufig sein. Während die Geschäftsführung ein möglichst hohes Tempo fordert, um schnell Marktanteile zu gewinnen, legt das Tech-Team Wert auf technische Stabilität und Sicherheit. Genau hier setzt Stakeholder-Management ein: Es sorgt dafür, dass verschiedene Perspektiven identifiziert, priorisiert und ausbalanciert werden. 

Das aktive Management von Stakeholdern gehört zu den Kernaufgaben im Produktmanagement. Es umfasst dabei folgende Bereiche:

Stakeholder identifizieren

Die Grundlage im Stakeholder-Management besteht darin, zu klären, wer überhaupt von einem Produkt betroffen ist oder Einfluss darauf nimmt. Dazu können sowohl Personengruppen wie Mitarbeiter, Lieferanten und Kunden zählen als auch Institutionen und Instanzen wie die Öffentlichkeit, der Staat oder die Umwelt. 

Erwartungen, Interessen und Bedürfnisse analysieren

Im nächsten Schritt geht es darum, ein klares Bild darüber zu erhalten, welche Anspruchsgruppe welche Erwartungen an ein Produkt stellt. Dazu kommen Methoden wie Gespräche, Workshops, Interviews und Feedback-Sessions zum Einsatz. 

Priorisieren: Stakeholder-Matrix

Nicht jede Interessengruppe ist gleich wichtig für den Erfolg eines Produktes. Die Wichtigkeit eines Stakeholders hängt dabei von zwei Faktoren ab: Einerseits von seinem Einfluss auf die Produktentwicklung. Andererseits von seinem Interesse am Produkterfolg. 

Ein Stakeholder, der Einfluss und Interesse vereint, ist die Geschäftsführung. Sie kann direkt in die Produktentwicklung eingreifen und besitzt ein gesteigertes Interesse am Produkterfolg. Eine regulierende Behörde oder die Datenschutzabteilung können Entscheidungen ebenfalls stark beeinflussen, sind in die Produktentwicklung selbst jedoch nicht involviert. Sie haben somit einen hohen Einfluss, aber geringes Interesse. 

Um die Wichtigkeit von Stakeholdern einzuordnen, hat sich unter Produktmanager:innen die sogenannte Stakeholder-Matrix etabliert, alternativ auch als Power-Interest-Matrix oder Stakeholder-Map bezeichnet. Sie unterteilt anspruchsberechtigte Instanzen in 4 Gruppen: 

  • High Power / High Interest → Eng einbinden: Dazu zählen Interessengruppen mit großem Einfluss und hohem Interesse, wie die Geschäftsführung, UX/UI-Design, Product Engineering und Product Owner. Entsprechende Gruppen sollten sehr eng in die Produktentwicklung einbezogen und kontinuierlich informiert werden. 
  • High Power / Low Interest → Zufrieden halten: Darunter fallen Instanzen, die die Entscheidungen im Projektmanagement stark beeinflussen können, jedoch in den Prozess selbst kaum involviert sind. Typische Beispiele sind Leiter:innen angrenzender Abteilungen, Datenschutzbeauftragte und externe Partner:innen. Diese sollten bei kritischen Entscheidungen einbezogen werden und regelmäßig geupdated werden.  
  • Low Power / High Interest → Gut informieren: In diese Kategorie fallen Interessengruppen, die ein hohes Interesse am Produkt, jedoch keinen direkten Einfluss auf dessen Entwicklung haben. Dazu zählen Endnutzer:innen, ebenso wie das Support-Team, Marketing und Vertrieb. Von diesen Stakeholdern gilt es, Feedback einzuholen, ihre Erwartungen zu managen und sie regelmäßig zu informieren.   
  • Low Power / Low Interest → Beobachten: Diese Stakeholder sind am wenigsten relevant. Sie benötigen lediglich sporadische Updates zum aktuellen Stand. Typische Vertreter sind nicht direkt betroffene Abteilungen oder Partner.

Reporting

Die Wichtigkeit einer Interessengruppe entsprechend der Stakeholder-Matrix entscheidet auch über die Frequenz und Tiefe von Reportings. Eine solche Kommunikationsstrategie auszuarbeiten, ist ebenfalls Kernbestandteil des Stakeholder-Managements. 

Dabei legen Produktmanager:innen fest, wer welche Informationen in welcher Form in welcher Häufigkeit erhält. So kann die Kommunikationsstrategie vorsehen, dass die Geschäftsführung ein monatliches Reporting erhält. Der Report kann zum Beispiel wie folgt aufgebaut sein: 

  • Executive Summary (3 bis 5 Stichpunkte)
  • Roadmap-Status
  • Übersicht über das Product Backlog
  • Risiken
  • Aktueller Stand der Budget- und Ressourcenplanung
  • Benötigte Entscheidungen

Während ein solches Reporting an die Geschäftsführung beispielsweise monatlich erfolgt, finden solche Updates innerhalb des Produktteams wie zwischen dem Engineering und dem Product Design deutlich häufiger statt.  

Erwartungsmanagement und Kommunikation

Wann immer unterschiedliche Interessensgruppen aufeinandertreffen, ist Konfliktpotenzial geboten. Jede Gruppe betrachtet ein Produkt aus der eigenen Perspektive und priorisiert andere Ziele. Umso wichtiger ist es, Erwartungen aktiv zu managen. Produktmanager:innen sollten kommunizieren, warum welche Entscheidungen getroffen wurden. 

Kontinuierliche Anpassungen

Stakeholder-Management ist keine Einmalaktion, sondern agil. Agile Produktentwicklung bedeutet, nicht an einem linearen Prozess festzuhalten, sondern Anforderungen an ein Produkt ständig zu hinterfragen. So können sich Stakeholder während der Produktentwicklung ändern beispielsweise, wenn Gesetzesvorgaben angepasst werden oder ein neuer Teamleiter das Engineering-Team übernimmt. 

Stakeholder vs. Shareholder: Was ist der Unterschied?

Aufgrund des ähnlichen Wortlauts werden diese Begriffe teilweise synonym verwendet. Tatsächlich jedoch beschreiben sie zwei unterschiedliche Rollen. 

  • Stakeholder: Stakeholder sind alle Interessengruppen, die eine Erwartung an ein Produkt haben. Diese Erwartungen können unterschiedlich gelagert sein: Während Nutzer:innen die Lösung für ein bestimmtes Problem erwarten, fokussiert das Engineering die technische Machbarkeit sowie einen sauberen Quellcode. Marketing und Vertrieb hingegen wünschen sich werbewirksame Features. 
  • Shareholder: Shareholder sind Eigentümer des Unternehmens. Dabei kann es sich um Gründer mit Unternehmensanteilen, Aktionäre oder Investoren handeln. Diese erwarten vor allem finanzielle Rendite in Form von Umsatz- und Gewinnsteigerung oder Dividenden. 

Während der Begriff Stakeholder demnach für verschiedene Interessengruppen steht, verbirgt sich hinter Shareholdern lediglich eine einzige Interessengruppe, nämlich die der Eigentümer. 

Der Stakeholder-Value-Ansatz

Die ganz klare Unterscheidung zwischen Stakeholdern und Shareholdern ist ein Konzept, das in der BWL auch als Stakeholder-Value-Ansatz bezeichnet wird. Dabei handelt es sich um ein Modell der Unternehmensführung, das sich nicht nur an finanziellen Interessen von Shareholdern orientiert, sondern sämtliche Stakeholder berücksichtigt. 

Der Fokus liegt demnach nicht nur auf kurzfristigen wirtschaftlichen Zielen wie finanzielle Rendite und Gewinnmaximierung, sondern auf einer langfristigen Wertschöpfung. Dabei werden auch Interessengruppen wie Mitarbeiter:innen, Lieferant:innen und Kund:innen berücksichtigt. 

Zunehmend definieren Unternehmen auch nicht-personengebundene Instanzen wie die Öffentlichkeit oder die Umwelt als Stakeholder. Der Stakeholder Umwelt bedeutet dann beispielsweise, Lieferketten auch über die gesetzlichen Anforderungen hinaus aktiv zu managen und ökologisch zu gestalten.