Agilität: Was agiles Arbeiten bedeutet, Methoden und Management

Gerade in dynamischen Umfeldern wie in der Softwareentwicklung oder im Produktmanagement ändern sich Anforderungen stetig. So kommt beispielsweise eine Nutzerbefragung zu dem Ergebnis: Ein ursprünglich geplantes Feature wird von Anwendern kaum gewünscht. Ein anderes Feature hingegen erweist sich als deutlich beliebter als erwartet. In dem Fall bedeutet Agilität, Prioritäten an die neu gewonnene Datenlage anzupassen und den Fokus auf das wichtigere Feature zu legen. Statt starr an ursprünglichen Projektplänen festzuhalten, wird früh ein nutzbares Ergebnis geliefert, Feedback eingeholt und das Vorgehen laufend angepasst. 

Agiles Arbeiten
Quelle: Digitale Leute Interview mit Jessica Hug (Communication Managerin bei Yello)

Definition: Was agiles Arbeiten ausmacht

Agilität entstand als Gegenentwurf zum klassischen Wasserfallmodell. Letzteres sieht vor, dass ein Projekt linear in streng aufeinanderfolgenden Phasen abgearbeitet wird. Eine solche Vorgehensweise setzt voraus, dass alle Anforderungen zu Projektbeginn bekannt sind und sich nicht wesentlich ändern. Bei komplexen und dynamischen Projekten stößt eine streng lineare Arbeitsweise jedoch an ihre Grenzen. Das ist gerade in der Softwareentwicklung und im Produktmanagement der Fall. 

Anders als physische Produkte lassen sich digitale Produkte kontinuierlich verbessern. Anforderungen entstehen dabei oft erst im Laufe der Nutzung, etwa durch Feedback von Anwendern oder die Auswertung von Nutzungsdaten. Agilität bedeutet, kontinuierliches Lernen über einen starren Projektplan zu stellen. Es geht darum, in kurzen Zyklen zu arbeiten, regelmäßig Feedback einzuholen und die Vorgehensweise flexibel an neue Erkenntnisse anzupassen. 

Agiles Arbeiten ist dabei durch folgende Merkmale gekennzeichnet: 

  • Anpassungsfähigkeit und Iterationen statt starrer Planung
  • Schnelles Lernen durch regelmäßiges Feedback
  • Fokus auf Wirkung statt auf Prozesse um ihrer selbst willen
  • Eigenverantwortung von Teams und Einzelnen
  • Kund:innen- und Nutzerorientierung

Agile Methoden

Bei Agilität handelt es sich nicht um eine Methode, sondern um eine Haltung. Diese wird häufig auch als agiles Mindset bezeichnet. 

Es gibt jedoch auch eine ganze Reihe an Methoden, die dabei helfen, eine agile Arbeitsweise in der Praxis umzusetzen. Zu den bekanntesten agilen Methoden zählen Scrum, Kanban, Design Thinking und Lean Startup. Allen gemeinsam ist, dass sie auf kurze Arbeitszyklen, regelmäßiges Feedback, enge Zusammenarbeit im Team sowie eine kontinuierliche Verbesserung der Arbeitsweise setzen:

  • Scrum: Es handelt sich um ein agiles Rahmenwerk, bei dem Teams in kurzen, festen Sprints arbeiten. Klare Rollen, regelmäßige Meetings und Reviews sorgen für Transparenz und kontinuierliche Iterationen. 
  • Kanban: Kanban visualisiert Arbeitsschritte auf einem Board und macht den Arbeitsfluss damit sichtbar. Durch das Begrenzen paralleler Aufgaben werden Engpässe erkannt und Durchlaufzeiten verkürzt.
  • Design Thinking: Design Thinking ist ein nutzerzentrierter Ansatz zur Lösung komplexer Probleme. In iterativen Phasen werden Bedürfnisse verstanden, Ideen entwickelt und Prototypen getestet. Ziel ist es, innovative und kundennahe Lösungen zu finden.
  • Lean Startup: Lean Startup zielt darauf ab, neue Produkte oder Geschäftsmodelle mit minimalem Risiko zu entwickeln. Annahmen werden durch Minimal Viable Products (MVPs) schnell am Markt getestet.

Agiles Management und Führung

In den letzten Jahren ist agiles Arbeiten zu einem Buzzword avanciert. Viele Organisationen schmücken sich damit. Häufig werden agile Methoden und neue Rollen wie die des Product Owners und Product Managers eingeführt. Entscheidungslogiken und Machtstrukturen bleiben jedoch oft unverändert. 

Agiles Management geht deutlich darüber hinaus. Es ist keine Methode, die sich auf einzelne Teams wie das Engineering beschränkt, sondern eine dauerhafte Änderung der Führungs- und Entscheidungskultur. Kennzeichnend sind folgende Prinzipien:

  • Dezentrale Entscheidungsfindung: In agilen Organisationen werden Entscheidungen nicht nach Hierarchien getroffen, sondern dort, wo das Wissen liegt. Das Management gibt hier nur die Leitplanken vor. 
  • Ziele statt Wegvorgaben: Führungskräfte geben keine detaillierten Arbeitsschritte vor, sondern Ziele und Prioritäten. Über den Weg dorthin entscheiden die Teams selbst. Dabei werden Ziele, Fortschritte und Probleme jederzeit für alle transparent gemacht. 
  • Kurze Feedbackzyklen: Entscheidungen werden nicht verteidigt, sondern kontinuierlich überprüft und an neu gewonnene Erkenntnisse angepasst.
  • Interdisziplinäre Teams: Teams vereinen alle Kompetenzen, die zur Wertschöpfung erforderlich sind. Es gibt zwar klar definierte Rollen, diese sind jedoch nicht hierarchisch organisiert. 
  • Führung als Enablement: Dazu gehört auch, dass sich Führungskräfte nicht als Kontrolleure, sondern vielmehr als Unterstützer sehen. Agile Führung bedeutet, Hindernisse zu beseitigen, statt Aufgaben zu verteilen. 

Agilität in der Softwareentwicklung: Das agile Manifest

Die Softwareentwicklung gilt als die Wiege agilen Arbeitens. 2001 haben 17 Entwickler das Fundament gelegt, indem sie das agile Manifest verfasst haben. Die beteiligten Entwickler waren unzufrieden mit den damals dominierenden Methoden der Softwareentwicklung, die von linearen Prozessen und Wasserfallmodellen geprägt waren. Dabei haben sie 4 Werte agilen Arbeitens definiert, die bis heute wegweisend sind. 

Seitdem hat sich Agilität in der Softwareentwicklung zunehmend durchgesetzt und wurde durch Methoden wie Scrum konkretisiert. Mit der Verbreitung digitaler Produkte fanden agile Methoden Einzug über die Grenzen von Entwicklungsteams hinaus ins Produktmanagement oder Product Design

Vorteile und Grenzen

Verschiedene Studien belegen: Agiles Arbeiten kann zu signifikanten Effizienzsteigerungen in Unternehmen führen. Zu diesem Ergebnis kommt unter anderem die Meta-Studie „SCRUM and Productivity in Software Projects : A Systematic Literature Review” der brasilianischen Wissenschaftlerin Elisa Cardozo, die 28 Studien zur Arbeit mit Scrum analysiert hat. 

Das bestätigt auch eine Studie der Fachhochschule Koblenz mit rund 260 Teilnehmern. Davon sehen rund 90 Prozent aller Befragten agile Methoden gegenüber klassischen, linearen Modellen als überlegen an. 

Dennoch gilt: Agilität ist kein Allheilmittel. So ist die sinnvolle Anwendung agiler Methoden immer auch kontextabhängig. Vorteile kommen vor allem in dynamischen und komplexen Arbeitsumfeldern wie in der Softwareentwicklung und im digitalen Produktmanagement zum Tragen. Bei klar definierten, sich wiederholenden Arbeitsabläufen wie in der Massenproduktion hingegen ist agiles Arbeiten weniger geeignet. Gleiches gilt für stark regulierte Bereiche, in denen Abläufe weitestgehend vorgegeben sind und wenig Spielraum für Entscheidungen lassen.